Hannover (dpa) – Mehr als 20 Kilogramm Plastik lagen im Magen eines Pottwals, der kürzlich tot vor der Küste Sardiniens entdeckt wurde. Das Baby im Bauch des acht Meter langen Weibchens war bereits verwest.
Meldungen über gestrandete Meeressäuger mit massenhaft Kunststoff im Magen häufen sich. An der Küste der Philippinen wurde im März ein junger Cuvier-Schnabelwal mit 40 Kilogramm Plastikmüll im Magen gefunden, Ende 2018 waren es knapp 6 Kilogramm in einem in Indonesien angespülten Pottwal – darunter Flaschen und Gummisandalen.
Wie viele Meeressäuger durch die ständig wachsende Menge an Plastik in den Weltmeeren zugrunde gehen, ist unklar. «Die Dunkelziffer ist vermutlich groß, weil viele Tiere auf dem offenen Meer verenden und uns somit nicht zur Untersuchung zur Verfügung stehen», sagt Bianca Unger. Die Biologin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover am Standort Büsum in Schleswig-Holstein hat Müllfunde in gestrandeten Seehunden, Kegelrobben und Schweinswalen an Nord- und Ostsee untersucht.
Ob ein Wal tatsächlich an Plastik verendet ist, lasse sich nicht in jedem Fall bestimmen, sagt Unger. Bei einer Menge von 40 Kilogramm wie bei dem Wal an der philippinischen Küste könne man aber davon ausgehen, dass er vermutlich verhungert sei. «Da ist das Problem, dass die Tiere ein Sättigungsgefühl haben, weil ihr Magen voll ist, der Müll sie aber nicht mit den nötigen Nährstoffen versorgt.» Auch Verletzungen durch scharfkantige Plastikteile oder Schnüre seien erkennbar.
Das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund rief schon 2014 «Kein Plastik Meer» zum Jahresmotto aus. Michael Dähne, Kurator für Meeressäugetiere, vermutet, dass tief tauchende Wale wie Pottwale Plastikteile über ihre Echo-Ortung irrtümlich für Beute halten. «Die Reflexion ähnelt ihrer Hauptnahrung Tintenfische.»
Nach Schätzungen landen weltweit jährlich rund 5 bis 13 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Meeren. Den Hauptanteil haben Länder Südostasiens zu verantworten, wo es kaum Recycling-Systeme gibt. Und die Plastikproduktion nehme immer noch zu, sagt Bernhard Bauske, Meeresexperte bei der Umweltschutzorganisation WWF.
Hunderte Tierarten werden dem Biologen zufolge durch Plastikmüll geschädigt. Gut dokumentiert sei dies bei Eissturmvogel und Albatros. So fanden sich allein in den deutschen Nordseegewässern bei 60 Prozent der untersuchten Eissturmvögel zu viele Plastikpartikel im Magen, wie aus dem jüngsten Bericht der Bundesregierung und der Küstenbundesländer für die europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) hervorgeht.
Meeresschildkröten verwechseln Kunststofftüten mit Quallen, von denen sie sich sonst ernähren und verenden daran. Es gibt auch Bilder von Schildkröten, deren Panzer von Plastik eingeschnürt und verformt sind. Wale, Robben und Seehunde verfangen sich in sogenannten Geisternetzen. Die Netze aus Plastik gehen Fischern verloren oder werden absichtlich weggeworfen.
Aber nicht nur Netze und Tüten sind eine Gefahr. «Bei der Vermüllung der Meere reden wir nicht nur von großen Plastikobjekten, sondern auch von Mikroplastik», sagt Forscherin Unger. Kleinstorganismen nähmen es auf, über die Nahrungskette werde es zu immer größeren Arten weitergegeben. Die winzigen Partikel wurden 2018 auch im Darm von Menschen nachgewiesen. Sie entstehen aus größeren Plastikteilen oder werden Kosmetikprodukten zugesetzt, der Großteil geht Studien zufolge auf den Abrieb von Autoreifen zurück.
Die Vermüllung der Meere sei immer mehr Menschen bewusst, beobachtet Dähne. «Jetzt geht es darum, sein eigenes Verhalten zu ändern.» Der Biologe wünscht sich weitreichendere politische Vorgaben. «Warum verbietet die EU nicht alle Plastiktüten?» In Deutschland wird ein vergleichsweise hoher Anteil an Plastik recycelt. Dennoch kritisiert WWF-Experte Bauske: «Wir sind in Europa das Spitzenland beim Verpackungsverbrauch pro Kopf.» Notwendig sei vor allem, Plastikmüll zu vermeiden, also zum Beispiel Lebensmittel möglichst unverpackt zu kaufen.
Klar ist dabei: Kunststoffe sind langlebig. Noch lange Zeit werden Meeresriesen qualvoll am Müll im Meer verenden.