Die Bishnoi sind friedfertige, tapfere und stolze Menschen, die größtenteils als Bauern und Viehzüchter am Rand der Wüste Thar im indischen Rajasthan leben. Ihre ungefähr 600.000 Anhänger umfassende hinduistische Glaubensgemeinschaft wurde vor mehr als 500 Jahren von Guru Jambeshwar (*1451) gegründet. Zu dieser Zeit war die indische Gesellschaft von Kastenkonflikten und Kriegen zwischen Hindus und muslimischen Eroberern tief gespalten. Als 1476 das Land von einer Dürre heimgesucht wurde, drohte Rajasthan im Chaos zu versinken. Die in der Wüste gedeihenden Khejri-Bäume wurden abgeholzt, die Tiere gejagt und ausgerottet.
Um sein Land vor dem drohen den Untergang zu retten, formulierte Jambeshwar schließlich 29 spirituelle und ökologische Gebote, nach denen die Bishnoi seit einem halben Jahrtausend leben. Im Mittelpunkt stehen Demut vor der Natur und Mitgefühl mit allen Lebewesen. Kein Tier darf getötet, kein Baum gefällt oder beschnitten werden. Fleischkonsum ist tabu, von ihren Tieren nehmen die Gläubigen nur die Milch zu sich. Sind die Tiere alt, werden sie bis zum Tod liebevoll versorgt. Andere Vorschriften regeln die Hygiene, den respektvollen Umgang untereinander und das spirituelle Leben.
Unter den widrigen Bedingungen der Thar-Wüste haben die Bishnoi grüne Oasen geschaffen, sie legten Wasserspeicher an, pflanzten Bäume und bauen sogar Weizen an. Ihre Felder sind nicht eingezäunt, und sie betrachten den von wilden Tieren angerichteten „Schaden” als Bestandteil des natürlichen Kreislaufes. Darüber hinaus geben sie den zehnten Teil der Ernte der Natur und den Tieren zurück. Im Land der Bishnoi findet man unzählige Gazellen und Antilopen. Die sonst eher seltenen und scheuen Wildtiere wissen, dass ihnen in der Nähe der Siedlungen keine Gefahr vor Jägern droht. So schleppen sich bisweilen sogar von Fremden angeschossene oder verletzte Tiere in die Dörfer, wo sie versorgt und gesund gepflegt werden.
Verwaiste Tierkinder werden mit menschlicher Muttermilch aufgepäppelt und anschließend wieder in die Freiheit entlassen.
So friedliebend die Bishnoi auch sein mögen, für die Natur kämpfen sie kompromisslos – oftmals unter Einsatz ihres Lebens. Viele von ihnen starben und wurden verletzt, um Tiere und Pflanzen zu schützen. Als der Maharadscha von Jodhpur im Jahr 1730 einen neuen Palast bauen wollte, benötigte er Holz. Er befahl, die Khejri-Bäume in der Umgebung fällen zu lassen, aber die Bishnoi schützten sie mit ihren Leibern. Über 360 Menschen wurden von den Soldaten des Maharadscha ermordet, bis er – beeindruckt vom so viel Mut und Opferbereitschaft – das Abholzen von Bäumen auf den Ländereien der Bishnoi für immer verbot.
Auch mit Wilderern kennen die tapferen Menschen kein Pardon. Auf die Gefahr hin, von einer Kugel getroffen zu werden, verteidigen sie die wilden Tiere, und nicht selten setzt es eine ordentliche Tracht Prügel für die Eindringlinge – selbst von Frauen.
Längst hat aber die moderne Zivilisation auch die Bishnoi erreicht – Segen und Fluch in einem. Sie betreiben eine eigene Homepage und nutzen moderne Kommunikationsmittel wie Mobiltelefone und Internet, um Widerstandsaktionen und Demonstrationen zu organisieren. Gleichzeitig wird ihr Land infolge zunehmender Bevölkerungsdichte, fortschreitender Mechanisierung des Ackerbaus und steigender Milchproduktion übernutzt und ausgelaugt. Noch ist ungewiss, ob es den Bishnoi gelingen wird, inmitten einer sich rapide wandelnden Umwelt ihre überlieferten moralisch-religiösen Werte und nachhaltige Lebensweise zu bewahren.
Wie auch immer, die Ethik der Bishnoi ist ein Fanal der Hoffnung in einer von Gier beherrschten Welt, in der allein der wirtschaftliche Erfolg zählt, in der die Natur als Selbstbedienungsladen missbraucht und fühlende Lebewesen zu Waren degradiert werden. Das Beispiel der mutigen Bishnoi zeigt uns, dass Menschen ein würdiges Leben führen können, ohne die Natur zu zerstören, Tiere zu quälen und zu töten. Möge uns die Tapferkeit dieser bewundernswerten Menschen anspornen, mutig unsere entrechteten und gequälten Mitgeschöpfe zu verteidigen, sie aus dem unbarmherzigen Joch der Knechtschaft zu befreien und Tod und Zerstörung zu widerstehen.