Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine der am häufigsten diagnostizierten neuropsychiatrischen Störungen im Kindes- und Jugendalter, wobei sie zunehmend auch im Erwachsenenalter anerkannt wird. Sie ist gekennzeichnet durch anhaltende Muster von Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität, die das tägliche Leben und die sozialen sowie schulischen bzw. beruflichen Funktionen erheblich beeinträchtigen können. Der wissenschaftliche Diskurs zu ADHS umfasst eine Vielzahl von Aspekten, darunter genetische, neurobiologische und psychosoziale Faktoren sowie differenzierte Therapieansätze.
1. Diagnostische Kriterien und Symptomatik
Laut dem DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5. Auflage) werden die Kernsymptome von ADHS in drei Hauptkategorien eingeteilt: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Kinder mit ADHS zeigen beispielsweise häufig Schwierigkeiten, sich über längere Zeiträume auf Aufgaben zu konzentrieren, neigen zu Flüchtigkeitsfehlern und vermeiden Aktivitäten, die anhaltende geistige Anstrengung erfordern. Hyperaktive Kinder wirken ruhelos, zappeln häufig oder verlassen ihren Platz in Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird. Impulsivität äußert sich in vorschnellen Handlungen ohne angemessene Reflexion möglicher Konsequenzen, etwa durch das Unterbrechen anderer oder das Herausplatzen von Antworten.
2. Ursachen und Risikofaktoren
Die Entstehung von ADHS ist multifaktoriell. Genetische Einflüsse spielen eine zentrale Rolle: Zwillingsstudien zeigen eine hohe Heritabilität von etwa 70 bis 80 Prozent. Auch neurobiologische Faktoren, wie funktionelle und strukturelle Abweichungen in bestimmten Hirnarealen (insbesondere im präfrontalen Cortex und im dopaminergen System), sind relevant. Umweltfaktoren, wie pränatale Belastungen (z. B. Nikotin- oder Alkoholkonsum der Mutter), Frühgeburtlichkeit oder psychosoziale Belastungen, können die Symptomatik verstärken oder das Risiko für die Entwicklung von ADHS erhöhen.
3. ADHS im Erwachsenenalter
Lange galt ADHS als eine Störung, die sich ausschließlich auf Kinder und Jugendliche beschränkt. Heute weiß man jedoch, dass bis zu 60 % der Betroffenen auch im Erwachsenenalter Symptome zeigen. Die Ausprägung kann sich jedoch verändern: Während Hyperaktivität mit dem Alter oft abnimmt, bleiben Unaufmerksamkeit und impulsives Verhalten häufig bestehen. Erwachsene mit ADHS haben ein erhöhtes Risiko für komorbide Störungen wie Depressionen, Angststörungen oder Substanzmissbrauch.
4. Diagnostik
Die Diagnosestellung erfolgt durch eine umfassende klinische Untersuchung, bei der Informationen aus verschiedenen Lebensbereichen (z. B. Schule, Arbeit, Familie) einbezogen werden. Es kommen strukturierte Interviews, Verhaltensbeobachtungen sowie Fragebögen zum Einsatz. Wichtig ist die Differenzialdiagnostik, da andere Störungen – wie Angst- oder Lernstörungen – ähnliche Symptome hervorrufen können.
5. Therapieansätze
Die Behandlung von ADHS beruht auf einem multimodalen Ansatz, der medikamentöse, psychotherapeutische und pädagogische Interventionen kombiniert. Medikamente wie Methylphenidat (z. B. Ritalin) oder Amphetamin-Derivate wirken auf das zentrale Nervensystem und verbessern die Konzentration und Impulskontrolle. In der Verhaltenstherapie lernen Betroffene Strategien zur Selbstregulation und Organisation. Eltern- und Lehrertrainings können zusätzlich helfen, die Umgebung so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen der Betroffenen entgegenkommt.
6. Kontroverse und gesellschaftliche Wahrnehmung
ADHS ist nach wie vor Gegenstand gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Kontroversen. Kritiker befürchten eine Überdiagnostizierung sowie eine vorschnelle Verschreibung von Psychostimulanzien. Auf der anderen Seite wird betont, dass eine frühzeitige und angemessene Behandlung das Risiko langfristiger Beeinträchtigungen erheblich reduzieren kann. Eine differenzierte, individualisierte Diagnostik und Therapie bleibt daher entscheidend.
ADHS ist eine komplexe und heterogene Störung, deren Ursachen tief in genetischen und neurobiologischen Prozessen verwurzelt sind. Eine fundierte Diagnostik und ein auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmtes Behandlungskonzept sind unerlässlich für eine erfolgreiche Bewältigung der Symptomatik. Die Entstigmatisierung und differenzierte Aufklärung in der Gesellschaft sind zentrale Aufgaben der kommenden Jahre.
Quellenangabe :
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American Psychiatric Association. (2013). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen: DSM-5 (5. Aufl.). Hogrefe.
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Barkley, R. A. (2015). Attention-deficit hyperactivity disorder: A handbook for diagnosis and treatment (4th ed.). Guilford Press.
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Döpfner, M., Breuer, D., Schürmann, S., & Lehmkuhl, G. (2013). ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen: Ursachen, Diagnostik und Therapie. Springer.
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Thapar, A., Cooper, M., Eyre, O., & Langley, K. (2013). What have we learnt about the causes of ADHD? Journal of Child Psychology and Psychiatry, 54(1), 3–16. https://doi.org/10.1111/j.1469-7610.2012.02611.x