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Pata Seca – Der Sklave, der zu 250 Kindern gezwungen wurde

In der staubigen Geschichte der brasilianischen Sklaverei gibt es viele vergessene Namen. Doch einer sticht besonders hervor: Pata Seca, mit bürgerlichem Namen Roque José Florêncio. Seine Geschichte ist ebenso außergewöhnlich wie erschütternd – ein Mensch, reduziert auf ein Zuchtinstrument, gezwungen, mit Hunderten von Frauen Kinder zu zeugen, die dann wiederum als Sklaven verkauft oder ausgebeutet wurden.

Der „Auserwählte“ der Grausamkeit

Geboren um 1827 in Sorocaba, im brasilianischen Bundesstaat São Paulo, wurde Roque José Florêncio 1849 vom Großgrundbesitzer Francisco da Cunha Bueno, dem sogenannten Barão de Araras, gekauft. Der junge Mann war außergewöhnlich groß – über zwei Meter – und von beeindruckender Statur. Genau das machte ihn für seinen „Besitzer“ wertvoll: Nicht zur Arbeit auf dem Zuckerrohrfeld, sondern zur Zwangszucht.

Florêncio wurde gezwungen, mit Sklavinnen Kinder zu zeugen. Man schätzt, dass er über 200, möglicherweise bis zu 250 Nachkommen zeugte – alle geboren in Ketten, alle dem System der brasilianischen Sklaverei unterworfen. Diese Praxis war besonders verbreitet, nachdem Brasilien 1850 den transatlantischen Sklavenhandel offiziell verboten hatte. Die „Lösung“ der Plantagenbesitzer: mehr Nachwuchs durch Zwang.

Leben zwischen Privileg und Gefangenschaft

Während andere Sklaven in der Senzala – den elenden Sklavenquartieren – vegetierten, lebte Pata Seca relativ privilegiert im Haus der Familie Bueno. Er war nicht nur Zuchtmittel, sondern auch Bote zwischen der Fazenda und der Stadt Araras, was ihm Bewegungsfreiheit und eine gewisse Sonderstellung verschaffte. Doch diese „Freiheit“ war eine Illusion. Seine Funktion blieb die eines Werkzeuges – der Mensch Roque verschwand hinter der Projektionsfläche kolonialer Gier.

Vom Besitz zur Freiheit – und zurück zum Menschen

Nach dem Ende der Sklaverei im Jahr 1888 wurde Pata Seca offiziell freigelassen. Ihm wurden 20 Alqueires Land (etwa 49 Hektar) zugewiesen – eine seltene Ausnahme in einem Land, das ehemalige Sklaven meist mittellos zurückließ. Er heiratete Palmira Nunes de Souza, mit der er neun weitere Kinder hatte.

In seinem neuen Leben baute er Gemüse an, hielt Hühner, fertigte Haushaltsgegenstände aus Holz und lebte bescheiden vom Verkauf traditioneller Zuckerrohrprodukte. Seine Familie verkaufte auf den lokalen Märkten Rapadura, eine süße, harte Masse aus Zuckerrohr – eine Tätigkeit, die seine Enkelin Maria Madalena Florêncio Florentino noch heute ausübt.

Der lange Schatten der Geschichte

Pata Seca starb 1958 im Alter von 130 Jahren – zumindest laut seiner Sterbeurkunde. Die offizielle Todesursache: Herzinsuffizienz, altersbedingte Schwäche und Myokarditis. Sein genaues Grab ist bis heute unbekannt, doch sein Erbe lebt weiter. In Santa Eudóxia, einem ländlichen Ortsteil von São Carlos, sind schätzungsweise 30 % der Einwohner seine Nachkommen.

Eine Straße trägt heute seinen Namen. Lokale Historiker und Familienangehörige sammeln Geschichten, Fotos und Tonaufnahmen, um das Vermächtnis von Pata Seca zu dokumentieren – ein Versuch, gegen das Vergessen anzukämpfen.

Symbol einer kollektiven Wunde

Die Geschichte von Pata Seca steht nicht nur für individuelle Qual, sondern für ein kollektives Trauma: die systematische Entmenschlichung von Millionen Afrobrasilianern in einem der brutalsten Kapitel der brasilianischen Geschichte. Dass seine Geschichte heute überhaupt erzählt wird, ist einem Netzwerk aus Nachfahren, lokalen Forschern und Journalisten zu verdanken.

Sein Schicksal zwingt zur Auseinandersetzung mit einem dunklen Kapitel – nicht nur Brasiliens, sondern der gesamten atlantischen Welt. Es mahnt uns, wie schnell Menschen zu Ressourcen degradiert werden können, wenn ein System ihre Menschlichkeit leugnet.


Quellen & Hinweise:

  • Zeitzeugeninterviews mit Maria Madalena Florêncio Florentino (Enkelin)

  • Recherchen in „G1“ und „Aventuras na História“

  • Sterbeurkunde von 1958

  • Oral History Projekte im Bundesstaat São Paulo

  • Aussagen von Historikern wie Marinaldo Fernando de Souza (UNESP)

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